GALANTERIE & VERFLOSSENHEIT

In 8,8 Stunden nicht um die Welt – aber nach Liechtenstein

Ein Sprichwort sagt ja, dass hinter dem Brenner das Paradies läge. Für mich lag das vermeintlich Paradies schon immer nördlich des Brennerpasses: zum einen im weiten, von Seen durchzogenen Grün Finnlands, zum anderen im breiten Oberen Rheintal, wo ein Fürst beziehungsweise nun ein Erbprinz regiert und man auch mit Hoi grüßt: im Fürstentum Liechtenstein.

Marc Eric Mitzscherling

16. August 2022﹒Mauren/Liechtenstein

Bis München war es eine unkomplizierte – wenn man diese Wort denn überhaupt im Kontext Deutsche Bahn verwenden darf – Fahrt. Spannend wurde es zunehmend, als der Zugbegleiter begann, mit einem «Grüß Gott» aufforderte, die Tickets zu zeigen. Von München ging es weiter Richtung Zürich mit der SBB und einem Zug in modern-elegantem Interieur. Man möchte meinen: die Schweizer können es halt. Aber ich wurde in diesem Fall gleich eines bessren belehrt, dass man es mit der allgemeinen Schweiz-Idolatrie nicht immer übertreiben sollte. Der Zug füllte sich zunehmend und auf meinen Fensterplatz beschränkt, bekam ich zu spüren, das sich das Moderne zunehmend als Misskonstruktion hervortat: Gequetscht zwischen zwei Schweizer Rentnern und einer älteren Dame mit einem Maximum von einem Zentimeter Beinfrei ging es innert zwei Stunden nach Bregenz; wie mein Schweizer Sitznachbar mit einem Blick auf die Uhr – ein heimatliches Fabrikat – gleichgültig bemerkte: «Pünklićh».

Umsteigen in München. Optisch macht der EC der SBB viel her. Im Praxistest besteht er aber nicht…

In Bregenz ist erheiterten die aussteigenden, vornehmlich Deutschen Zuggäste allgemein den Bahnsteig; wie ein Schweizer lakonisch feststellte «Ah schau, der Zug kommt aus Deutschland – alle mit ihre Masken».

Nach Liechtenstein war es ab hier nur noch ein Katzensprung. Vorbei am Bodensee über Dornbirn nach Feldkirch. Und dann mit dem Bus über die Grenze bei Schaanwald. Die erste der 11 Liechtensteiner Gemeinden, die ich nun kennenlernen sollte. Nach meiner Ankunft, ging meine Gemeindesammlung gleich weiter: Gestartet in Mauren, spazierte ich weiter durch Eschen bis nach Gamprin und Bendern, um dann schon wieder vor der Grenze zur Schweiz zu stehen. Was mir während dieser Runde durch das beschaulich-gepflegte Grün der Liechtensteiner Ein- und Mehrfamilienhäuser auffiel, war die nicht existente Quote an Passanten und Radfahrern. Die fünf Leute auf ihren Velos konnte man in ihrer bunten Multifunktionskleidung gleich der Gruppe der Urlaubern zuordnen. Liechtenstein fährt Auto.

Gleich am nächsten Tag bestätigte sich meine Erkenntnis: Das Liechtenstein-Institut hatte eine neue Studie zur Mobilitätsgeschichte des Landes veröffentlich, wobei der Autor der Studie dem Land allgemeine Bequemlichkeit attestiert. So hat Liechtenstein mit 785 Fahrzeugen pro 1'000 Einwohner eine der höchsten Pkw-Dichten der Welt. Diese Bequemlichkeit führen einige Liechtensteiner, die ich später auf diese Umstand ansprach, auf das Wohlstandsproblem im Land zurück. Auch hierfür bedient man sich immer wieder gerne eines Auto-Beispiels: Liechtenstein sei das Land mit den meisten gemeldeten Porsche. Liechtenstein hat eines der höchsten Brutto-Inlands-Produkte der Welt und es sind im Land mehr Leute angestellt, als wie im Fürstentum leben.

Blick von Bendern nach Schaan – leicht hügelig liegt Liechtenstein im Rheintal.

Hinsichtlich des Verkehrs hätte Liechtenstein aber enormes Potenzial. Das Tal ist sehr eben, die Wege gut ausgebaut und der öffentliche Nahverkehr für den «dörflichen Charakter» (Eine Entschuldigung an alle Liechtensteiner, die die These hochhalten, dass es im Land nur Städte und keiner Dörfer gäbe) in Liechtenstein vergleichsweise sehr gut ausgebaut. Aber wer weiß, was sich in Liechtenstein noch alles tun wird. Gerne wird ja Albert Einsteins Antwort auf die Frage, wo er im Falle des Weltuntergangs wäre, zitiert: In der Schweiz, da passiere alles immer etwas später. Durch Liechtensteins politische Verbandlungen mit der Schweiz – im nächsten Jahr werden es schon 150 Jahre Zollvertrag – ist das Fürstentum hier oftmals ein Nachzügler, sodass sich das Zitat frei erweitern ließe, dass in Liechtenstein alles noch später, als in der Schweiz geschieht. Immerhin hat sich die Mehrheit der Liechtensteiner, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin, vor kurzem ein neues E-Bike zugelegt. Als würden sie jeden Tag nach Triesenberg Serpentinen hochkurven müssen. Aber ein Fahrrad mehr heißt vielleicht später, auch ein Auto weniger.

Was in Liechtenstein noch auffällt, bin ich. Denn spätestens, wenn man den Mund öffnet, wird man als Deutscher entlarvt. An sich eigentlich großes Problem, wären da nicht die manchmal geringschätzigen Blicke oder Anmerkungen, ob meiner Herkunft. Sei es bloß mein fehlender Dialekt oder auch, dass ich im Interspar – dann schon wieder in Österreich – an der Kassa nicht überstürzt das Parkticket für ein paar Prozente auf die Theke werde und ungläubig versichernd gefragt werde «S’ Parkticket?». Während Schweizer die Deutschen als laut und unhöflich sehen, die Österreicher geprägt sind vom ewigen Zwist mit den «Preußen», ist man in Liechtenstein für die schlechte PR des Landes in den deutschen Medien verantwortlich, als mehrere Steuer-CD’s aus Liechtensteinischen Banken geleaked und von Deutschland gekauft wurden. Das Verhältnis zwischen dem Fürstentum und der Bundesrepublik war Zeitweise so unterkühlt, dass der damals regierende Fürst Hans-Adam II. gar davon sprach, notfalls auch noch ein viertes Reich zu überdauern.

So schnell, wie man im Land drinnen ist, ist man auch wieder draußen. Hier auf der alten Rheinbrücke bei Vaduz.

Aber auch an der Kasse bekommt hierzulande das Deutschsein zu spüren: Die ungewohnt hohen Preise. Ich empfehle an dieser Stelle folgenden Trick aus eigener Erfahrung: Erst in der Schweiz den Preis-Schock kaufen gehen – immerhin hat mich hier das Päckl Hafermilch knapp fünf Schweizer Franken gekostet – und dann ist der Österreichische Lebensmittelmarkt schon eine vermeintliche Niedrigpreisoase. Schon erscheint alles preislich doch ganz human. Denn das kann Liechtenstein bieten: Von der Schweiz bis nach Österreich sind es gerade einem 15 Minuten mit dem Bus.

Meine Reise durch das beschauliche Fürstentum setzt sich fort…