GALANTERIE & VERFLOSSENHEIT

Allein im Panorama

Vor einigen Monaten versprach ich eine Fortsetzung meines Erlebnisberichts aus dem kleinen, feinen Liechtenstein. Ganz sicher ein Erlebnis war der liechtensteinische Staatsfeiertag, der alljährlich am 15. August – dem Geburtstag des vormaligen Fürsten Franz Joseph II. – begangen wird.

Marc Eric Mitzscherling

30. Dezember 2022﹒Mauren/Dresden

Am zweiten Tag schon einen Lieblingsplatz im Land zu finden, ist sicherlich eher die Ausnahme. Eigentlich war ich auf der verzweifelten Suche nach einer Mitfahrgelegenheit für den kommenden Staatsfeiertag in Liechtenstein, als ich bei meinen Recherchen über ein kleines «Pop-up Beizen» in Planken stolpere, was am gleichen Tag noch Besuch von Martha Bühler bekommen würde: Die ehemaligen Olympionikin brät nun prämierte – die vermeintlich besten – Käsknöple des Landes. Mit großem Appetit im Magen fiel es noch einfacher sich von seiner lethargischen Wochenendruhe zu befreien und in den Bus Richtung Planken zu steigen.

Der Blick von Planken ist Tal. Gegenüber die Schweiz, links im ersten Drittel das Oberland, recht das Unterland gefolgt von Österreich und Deutschland.

Und wie wurde dieser Entschluss entlohnt. Zwar liegt Planken bloß auf, für alpine Verhältnisse niedrigen, 786 Metern, bietet dafür aber eine hervorragende Aussicht auf das breite und grüne obere Rheintal und Liechtenstein. Oder genauer, wie mich der Barista Roman Eggenberger aufklärt: Der Ausblick auf fünf Länder. Gegenüber im Westen die Schweizer Alpen hinter dem Rhein, im Norden, aus dem Tal heraus, spiegelt sich Deutschland im Blau des Bodensees und gleich daneben Österreich. Und dann — getrennt von einem kleinen, geraden, baumbewachsenen Graben, die beiden Liechtensteiner Regionen Oberland und Unterland. So wie möglicherweise die föderale und insbesondere kulturelle Grenze Bayern vom Rest Deutschlands trennt, unterteilt eine unscheinbare Hecke im Riet die politischen und anderweitigen Vorlieben im Fürstentum; das Land in einen nördlichen – das Unterland – und einen südlichen Teil – das Oberland.
Warum mich der Barista eigentlich angesprochen hatte: Es fällt auf, ob man aus dem Land kommt oder nicht. Während man still und allein sein Panorama genießt, kennt hier sonst jeder jeden. «Hoi Josef! Hoi Maximilian» «Prösterli Johanna» «Hoi mitternand» «Dankche vielmals Joyce» «A schönes Plätzli, gell?» Man kennt sich hier und einmal mehr wird einem die Kleinheit des Landes bewusst (gemacht).
Doch vermag dieses kleine Land tatsächlich die leckersten Käsköpfle – die man hier übrigens mit Vorliebe mit Apfelmus serviert – hervorzubringen, die ich bis anhin probiert habe; in Einzelkämpferakkordarbeit von Martha Bühler gebraten. Übrigens kann man die Käseknöpfle und auch die Martha zu Anlässen jeder Art mieten. Und sie ist gefragt. Schon am nächsten Tag briet sie im Rahmen des Staatsfeiertages für das Liechtensteinischen Landesmuseum in Vaduz.

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(An dieser Stelle sei mit ein kleiner Nachtrag erlaubt – es ist nun schon etwas her, dass ich in Liechtenstein war. Und so muss ich zwangsläufig noch einmal Stellung zu den Käsknöpfle von Martha Bühler nehmen. Denn ja, sie sind lecker. Aber man schmeckt es doch, wenn sie nach altbewährtem Familienrezept im Kreise von Freunden gebraten werden. Das gleiche gilt übrigens auch für das zweite Nationalgericht Liechtenstein – den Riebel oder Rebel. Auch hier schmeckt er im familiär-kleinen Kreis wesentlich besser, als an den Ständen auf der Festwiese. Wobei natürlich auch zählt, wie man ihn mag. Eher feucht oder traditionell trocken «geklopft». Süß mit Kompott oder würzig-herzhaft mit saurem Käse).

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Aber nicht nur die Touristen, sondern auch einige Einheimische flaggen. Für viele gehören die Farben rot und blau vor und an das Haus. Die etwas konservativeren ziehen dann noch rot und gold – die Farben des Fürstenhauses – hinzu.

Das der Staatsfeiertag näher rückt, merkt man sofort, wenn man öfter Bus fährt: Das im öffentlich Raum eh schon seltenere Liechtensteinisch wurde zunehmend durch englische und spanisch Einwürfe und Konversationen verdrängt. Und mit den Touristen kommt der große, oberflächliche Hype, auf eine vermeintliche Kuriosität auf der Landkarte mit einer Monarchenfamilie an der Spitze, wie sie gerne in bunten Zeitschrift stilisiert wird. Diese heraufbeschworene Faszination äußert sich dann in Eigentümlichkeiten, wie einem völlig überwältigten Amerikaner, der sein Handy halb anwesend 20 Minuten und 34 Sekunden aus dem Busfenster hält und vermutlich zum Backup 10 Fotos von einem unauffällig grauen Haus aus dem 70ern mit der Aufschrift «Hotel» schießt. Egal was es ist: Hauptsache es ist etwas aus Liechtenstein.

Dieser Wahnsinn blühte dann am 15. August – dem eigentlichen Staatsfeiertag – förmlich auf. Die Hotels um und in Vaduz waren ausgebucht, ein leichter Hauch von Sonnencreme und Zeckenspray hing in der Luft und zu den Amerikanern und Europäern waren nun auch die Asiaten gestoßen. In übervollen Bussen wälzte sich alles Richtung Schlosswiese in Vaduz, wo der Staatsakt stattfinden würde.
Ich selber – doch schon etwas ins Land verliebt – nahm den Tag etwas ernster und konnte mich mit meiner Trachtenjacke und der Rot-Blauen-Schleife am Revers gut unter die Liechtensteinischen Trachtenfrauen mischen. Der Nachteil dieses Ernstes war nun, dass mir die gesamte Besetzung des Busses ahnungslos folgte, in der Hoffnung, ich wisse schon, wie es zum Schloss ginge. Und so folgte mir der Trott in Badelatschen, schicken Glitzer-T-Shirts und mit jede Menger Liechtenstein-Flaggen ausgerüstet bergaufwärts zum Schloss.
Der große internationale Andrang rührte aber sicherlich auch daher, dass der Staatsakt beziehungsweise der normalerweise anschließende Apéro nur für Liechtensteiner zugänglich ist. Noch heute erzählt man sich im Land ungläubig die Geschichten von ganzen Reiseagenturen, die zum «kostenlos Buffet» und dem «Fürsten zum Anfassen» chauffierten. Aufgrund von Bauarbeiten musste dieses Jahr der Apéro im Rosengarten des Schlosses ausfallen, sodass man zum Staatsakt auch ohne Ticket gelangen konnte.

Der Staatsakt auf der Schlosswiese. Hier hielten – musikalisch von der Gastgeber Gemeinde Ruggell umrahmt – der Erbprinz und der Regierungschef ihre Reden.

Auf der Schlosswiese kam alles zusammen, was symbolisch für Liechtenstein steht: Trachtenfrauen und -mädchen, Pfadfinder – und natürlich, neben der Regierung und dem Diplomatischen Corps, auch die Fürstenfamilie inklusive Fürsten und Erbprinzen. Andererseits erlebte man Tourismus der Extraklasse: Sich aufs kostenlose Getränkebuffet Stürzende, pekiert-gelangweilte Journalisten aus Deutschland, Instagramer die jeden Schritt im noch feuchten Gras auf der fürstlichen Schlosswiese filmten und mit einem gekreitschen «Wir sind nur durch Zufall hier – aber ich bin so happy» kommentieren, und so weiter.

Den traurigen Höhepunkt erreichte das Spektakel dann mit dem feierlich Einzug der politischen Führung: Der Marsch der Kapelle war zu Ende, betretenes Schweigen erfüllte die Sommerluft, während die Regierung an einem sensationsgeilen, aber enttäuschten Publikum vorbeideffilierte, ehe von weiter hinten Applaus aufbrandete, weil sich die Fürstenfamilie näherte. Spätestens dann wurde die einstweilige Enttäuschung durch die Erscheinung leibhaftiger gewordener Bilder aus der Klatschpresse verdrängt. Doch eben diese Bild wird von den Medien mit Vorliebe auch von Liechtenstein gezeichnet. Hatte der Erbprinz noch nicht einmal das «Liebe
Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner» des Beginns seiner Rede fertig artikuliert, bedeute die Regisseurin vom ORF ihrem Kameramann schon, ihr zu den lustig kostümierten Männern in bunten Trachten zu folgen (Es handelte sich um mit Mitglieder der Liechtensteinischen Akademischen Verbindung Rheinmark). Das gibt wesentlich mehr für die abendliche Berichterstattung her, als ein Erbprinz, der sich auf einmal mehr als agierender Politiker und weniger als Traumprinz entpuppte. Meine früheren hier in Beiträgen postulierten Beobachtungen zu Liechtenstein bestätigten sich nicht nur durch Studien des Liechtenstein-Instituts, sondern auch der Landtagspräsident Albert Frick, als er in seiner anschließenden Rede hervorhob, dass es in Liechtenstein ein Wohlstandsproblem gebe und Liechtenstein ein Land der wertschöpfenden und sich lohnenden Arbeit sei und weiterhin sein müsse. Dies vor allem – und das als ein kleiner Nachtrag – im Hinblick auf die Situation mit und zu den Casinos in Liechtenstein. Das kleine Land hat vergleichsweise viele Glücksspiel Tempel, die jedoch in den Augen einiger nicht genügend reglementiert werden. Diese hitzige Debatte – besonders in der für Liechtenstein typischen Form von Leserbriefen – mündete in dem Ergebnis, dass im Januar 2023 eine Abstimmung zu einem allgemeinen Casino-Verbot im Land abgehalten wird.

Ernüchterung macht sich breit in den Reihen des Publikums. Man hatte sich mehr Trubel erhofft, statt einiger mehr oder weniger deutschsprachiger Reden.

An den Staatsakt schloss sich nun – erstmals wieder seit den vergangen Jahren – das Volksfest im Städtle an. Hier muss man festhalten, dass Volksfest in Liechtenstein nichts anderes meint, wie ein Volksfest in Deutschland oder Österreich: Lange Straßen gesäumt von Anbietern diversester, meist stark zucker- oder fetthaltiger Speisen. Lediglich der kulinarische Einschlag aus der Schweiz macht sich durch den zart-würzigen Duft von Raclette-Käse bemerkbar.

Für mich sollte nicht das kulinarische und musikalische Programm bis spät in die Nacht den höchsten Feiertag des Landes beenden, sondern der traditionelle Fackelzug auf dem Fürstensteig. Der Fürstensteig ist ein Teil des Dreischwesternweges, der Liechtenstein und Voralberg unter dem Drei-Schwestern-Massiv verbindet. Dieses etwas über zwei Kilometer lange Teilstück dieses Weges wurde 1898 zum 40. Regierungsjubiläum des Fürsten Johann II. eröffnet, welcher den Ausbau des Weges – zum Teil wurde er in den Fels geschlagen – eröffnet.

Der Fackel- bzw. in diesem Jahr «Lichterketten-»Zug war ein unvergessliches Erlebnis.

Dabei war das Wetter anfangs keine große Hilfe. War das sonst immer beliebte Staatsfeiertag-Feuerwerk aufgrund der Trockenheit abgesagt worden, regnete es nun und der Fürstensteig zeigte sich wolkenverhangen.
Wegen der vormaligen Trockenheit sollte es auch beim Fackelzug eine Premiere geben: Anstatt der altbewährten Fackeln hatte man sich um eine feuerfreie, elektrische Alternative bemüht. Mit einer 160 Meter langen Lichterkette sollte der Steig dem Tal entgegenleuchten.
Und tatsächlich ging es dann, trotz feinen Sprühregens, gesichert mit Bergschuhen, Helm und Stirnlampen in den Fels. Rund 30 Leute, vornehmlich aus Liechtenstein, stiegen gemeinsam auf, um dann mit einsetzender Dunkelheit, dem Sicherungsseil am Fels in der linken und der Lichterkette in der rechten Hand, ein neues Kapitel dieser feierlichen Tradition zu schreiben. Das Gruppengefühl wuchs mit der zum Teil gefährlichen, Herausforderung mit allen anderen Wanderern an einer Strang hängend, den Steig zurückzuwandern, ohne jemanden in die Tiefe zu ziehen, die Birnen der Lichterkette im Gestein schleifen zu lassen oder auch nur das Gewicht zu verlieren. Denn der Fürstensteig auf über 1400 Metern ist in bloßer Pfad im Fels, während sich auf der einen Seite das Mineral imposant und steil in den Himmel formt, auf der anderen bedrohlich gerade dem Tal zugeht.
Trotz der Gefahr, der teilweise durch Wolken verhangenen Sicht auf das Tal und der Schwierigkeiten mit der Lichterkette, war es ein einmaliges und eindrückliches – ja unvergessliches Erlebnis: In dunkler Nacht mit einem letzten Hauch des abendlichen Oranges über den Schweizer Gipfel, in gleißendem Licht der Lichterkette gen Tal zu wandern und dabei der imposanten Felslandschaft ganz neues Leben einzuhauchen.

Alles in allem waren diese ersten Tage im Fürstentum ein fantastischer und ausgefüllter Einstieg in dieses Land. Und vor mir liegen noch einige Wochen des Entdeckens und Kennenlernens. Ein so kleines Land mit einer so großen Vielfalt, von der ich hier sicherlich noch ein paar Mal ausführlicher berichten werde.