GALANTERIE & VERFLOSSENHEIT

Wie ein Finne einen kaukasischen Nadelbaum unbeabsichtigt nordisch werden ließ

Weihnachten ist in unseren Breitengraden besonders durch alte Traditionen und Bräuche geprägt. Eine dieser Gepflogenheiten ist der Weihnachtsbaum: ein immergrünes Symbol in Zeiten des kargen Winters. Hell leuchtende Tannen, Fichten und Kiefern schmücken dieser Tage Stuben und Vorgärten. Die Nordmann-Tanne spielt unterdies heute eine ganz wichtige Rolle – und ist dabei gar nicht so nordisch, wie man dem Namen nach vermuten könnte.

Marc Eric Mitzscherling

24. Dezember 2020﹒Dresden

Jedes Weihnachten aufs Neue spielt neben dem Geschenke-Kaufen, dem Leckereien-Kreieren und sonstigen Stimmungsmachern auch der Weihnachtsbaumkauf eine substanzielle Rolle für die Festtage. Ob nun ganz städtisch beim Großhändler gekauft oder selber in Plantagen und Wäldern geschlagen, schmückt er doch zwischen den Weihnachtstagen und Mariä Lichtmess am 2. Februar die Großzahl der Wohnungen und Häuser.

Während zu Zeiten des Aufblühens dieser Baum-Tradition - besonders in adeligen und gutbürgerlichen Häusern im 17. und 18. Jahrhundert - neben den bewährten Nadelbäumen auch noch Buchsbäume und Eiben die Zimmer ergrünen ließen, setzten sich mit der Zeit Fichten und Tannen durch. Beliebt war vor allen Dingen die Weißtanne (Abies alba), die jedoch mittlerweile in ihren Beständen immens geschrumpft ist.

So kann man sich schon einmal erklären, dass der größte Absatz an Weihnachtsbäumen heute nicht mehr durch diese seltene Art gestellt werden kann. Doch wie kommt dann die Nordmann-Tanne, die in Deutschland 80% aller Lichterbäume inszeniert, aus ihrer eigentlichen Heimat in der Region des Schwarzen Meeres in unsere mitteleuropäischen Haushalte?

Dazu müssen wir nicht nur zurück in das 19. Jahrhundert, sondern auch in ein anderes Land: Finnland. Hier wurde am 24. Mai 1803 Alexander von Nordmann in Kymi - heute ein Teil der Stadt Kotka, die damals noch Ruotsinsalmi hieß - geboren. Nach der Schule in Provoo ging er 1821 an die damals einzige finnische Universität in Turku und schloss dort sechs Jahre später mit einer Promotion sein Studium der Zoologie, Botanik und Paläontologie ab.
Von 1828 bis 1831 setze er sein Studium in Berlin fort bis er 1832 seine erste Anstellung als Dozent für Naturgeschichte, Zoologie und Botanik am Lyzeum Richelieu in Odessa am Schwarzen Meer fand. 1834 wurde er dort auch zum Konservator im Botanischen Garten ernannt.

In Odessa gründete er nicht nur eine Hochschule, sondern untersuchte auch gewissenhaft die Tier- und Pflanzenwelt der Rayon. Dabei galt er für viele Arten auch als Erstbeschreiber.

Und an dieser Stelle fügt sich unsere Nordmann-Tanne in die Geschehnisse ein. Denn es war niemand Geringeres als Alexander von Nordmann, welcher 1835 eine neue Tanne in Bordschomi (ბორჯომი) im heutigen Georgien entdeckte. Lange kursierte dieser Baum deshalb auch unter dem Namen Kaukasus-Tanne, ehe er importiert und angebaut, als Nordmann-Tanne (ab 1842 zu Ehren des Entdeckers als Abies nordmanniana bezeichnet) besonders aus dänischen Plantagen ihren Weg in die weihnachtlich dekorierten Wohnzimmer fand.

Nordmann-Tannen finden sich heute in ganzen Weihnachnachtsbaumplantagen, wie bspw. auch in der Abgebildeten.

In Deutschland ist die Nordmann-Tanne derweil noch gar nicht so sehr lange populär. Denn nach dem die bevorzugte Weißtanne nicht mehr den weihnachtlichen Ansprüchen genügen konnte, wurden erst einmal heimische Rotfichten und später nordische Blautannen gekauft, ehe man auf den Geschmack der Nordmann-Tanne kam.

Zurück nach Odessa: nach 22 Jahren im Kaukasus kehrte Nordmann schließlich nach Finnland zurück und wurde 1849 Professor für Zoologie und Botanik an der Universität Helsinki. Das ist dem Umstand geschuldet, dass im Jahr 1828 Turku einem schweren Brand zum Opfer viel und im gleichen Jahr die Universität aus ruinierten Turku in die neue Hauptstadt Helsinki verlegt worden war.

Nordmann war zu seiner Zeit ein vielbeachteter und populärer Wissenschaftlicher - was unteranderem symbolisch auch an seinen 29 Mitgliedschaften in Wissenschaftlichen Gesellschaften abgelesen werden kann.

Umso trauriger der Umstand, dass um die vermeintlich nordische Herkunft des so beliebten Christbaumes doch viel Unwissenheit herrscht. Natürlich gibt es alle paar Jahre zu Weihnachten den obligatorischen Einspalter in Lokalzeitungen, aber vermutlich dem plakativen Namen geschuldet, setzt man sich allgemein nicht tiefergehend mit der eigentlichen Herkunft des Baumes auseinander.

So ist die Nordmann-Tanne kein fenno-skandinavisches Wintermärchen. Dennoch hat sie den zufälligen Umständen eine finnisch Verbindung zu verdanken und lässt damit wenigstens ein Teil der weihnachtlich-nordischen Illusion weiterleben.

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