GALANTERIE & VERFLOSSENHEIT

Eine U-Bahn in Dresden

Eine Prestigeidee der DDR-Stadtplaner für die barocke Elbflorenz und was daraus geworden ist. Die Geschichte des Projekts «Stadtschnellbahn» in Dresden und der Wunsch, die Stadt noch ein bisschen größer und weltmännischer wirken zu lassen.

Marc Eric Mitzscherling

04. April 2020﹒Dresden

Auf meinen Streifzügen durch das Internet bin ich letztens zufällig über einen Artikel der «Dresdner Neusten Nachrichten» und ihrem April-Scherz aus dem letzten Jahr gestolpert. Der ködernde Titel lautet «Am Rathenauplatz entsteht Dresdens erste U-Bahn-Station». Bezug wird in diesem Scherzwerk auf eine Grossbaustelle in der Nähe der Pirnaischen Platzes im Stadtzentrum genommen, welche nun nicht nur der Stadtentwässerung als Projekt dient, sondern auch von den Verkehrsbetrieben als Untergrundbahn genutzt werden solle.

Interessant finde ich an diesem Artikel, dass die Idee gar nicht mal fern liegt. Denn in den 1950er Jahren wurde schon im Zusammenhang mit der Prestige-Stadtplanung der DDR-Regierung für Dresden über eine U-Bahn für die Stadt debattiert und sogar geplant. Viele wissen das nicht; dennoch gibt es auch heute noch Stimmen auf diversen Portalen im Netz, dass ein Untergrundbahnbau doch ein grosser Fortschritt für das Streckennetz des öV Dresdens wäre - abseits davon, dass die sächsische Landeshauptstadt eines der dichtesten Strassenbahnnetze in Deutschland besitzt und noch heute ferner in verschiedensten Projekten und Leitlinien der Ausbau desselben vorangetreibt.

Vor ein paar Jahre hatte ich während eines Aufenthaltes im Stadtarchiv Dresden die Möglichkeit, nach Dokumenten dieses vergessenen Projektes zu suchen. Vergessen deshalb, da ich an die Recherche sehr optimistisch herangegangen war und doch sogleich feststellen musste, das neben dem erschwerend alten Web-OPAC des Archives kaum Dokumente zum Ausheben aus den Magazinen existierten. Lediglich die prallen Ordner der Stadtratssitzungen in den 60er Jahren versprachen der Verschlagwortung zufolge, etwas zum sogenannten Projekt «Stadtschnellbahn Dresden» zu bergen.
Eine ernüchternde Suche durch ein Mass an Papieren begann, bis ich auf einige wenige zum Projekt gehörenden Blätter stiess, die neben lange messtechnischen Listen zur Umsetzung auch interessante Einblicke boten.

Titelblatt der Projektmappe des Stadtrates im Stadtarchiv Dresden.

Mein Wunsch, aus diesen Ergebnissen für eine neue Arbeit zu schöpfen,konnte nicht erfüllt werden. Zu verstreut und vereinzelt sind die verbliebenen Überreste des Grossplanes der Stadt, doch will ich in diesem kurzen Beitrag das Wissen ein wenig zusammentragen und so meinem Gedanken an ein neues Projekt für mich entgegenkommen.

In der Ausgabe der Sächsischen Zeitung - damals Presseorgan der SED in Dresden - vom 04. Juli 1969 findet sich ein Artikel über die Vorstellungen und die Verwirklichung der «Stadtschnellbahn». Ziel war es, auf kurzen und schnellen Verbindungswege so viele Personen, wie möglich (50% der Bevölkerung der Stadt) im Ballungsraum Dresdens von A nach B bringen zu können. Dabei wurde neben oberirdischen Streckenführungen auch mit einer unterirdischen Trasse auf einer Ost-West-Achse vom Bahnhof Mitte nach Gruna geplant um dabei die Haltestellen Postplatz, Ernst-Thälmann-Strasse und Fučikplatz zu bedienen. Neben der Stadt selbst sollten auch umliegende Ortschaften, wie Meissen, Pirna oder auch Arnsdorf möglichst effektiv in das neue öV-System integriert werden.
Insgesamt gestaltete sich die Idee der Bahn in einer Süd-Nord-Achse und der eben genannten Ost-West-Achse aus.

Entwurf des Liniennetztes für die «Stadtschnellbahn» in Dresden. In der Legende findet man auch die Symbolik für die unterirdischen Streckenabschnitte.

Grund, dass man ein so schon im Vorhinein augenscheinlich aufwendiges Projekt verfolgte, lag vor allen Dingen daran, dass in einer vom Mangel geprägten Deutschen Demokratischen Republik auch die Autos auf den Strassen fehlten. Die Stadtplaner, die dieses neue Dresden nun also endgültig aus den Ruinen des Krieges und des Alters in die Moderne heben sollten, hatten also gar keine Wahl, als den öV dem Autoverkehr vorzuziehen und sich vor allen Dingen auf einen guten Ausbau bei Bus und Strassenbahn zu konzentrieren. Aus dieser Perspektive stand der Idee der «Stadtschnellbahn» also nichts mehr im Wege.

Die Dokumente, die ich im Stadtarchiv ausheben konnte, basieren auf einer Projektuntersuchung, die vom Stadtrat Köhler am 11. August 1969 eingeleitet wurde und entsprach der staatlichen Direktive «S-Bahn Dresden Tunnelstrecke Stadtzentrum» womit auch die Verbindung zur Staatsspitze der DDR hergestellt ist. Begründet wird der Bau, neben dem schon erwähnten Argument, die 50% der Stadtbevölkerung bewegen zu wollen, das Stadtzentrum zu verbessern und «zur Erhöhung der Reisgeschwindigkeit» im Selbigen beizutragen. Ferner argumentiert man: «Der Öffentliche Nahverkehr im verkehrlichen Einzugsgebiet wird gegenwärtig mit den Verkehrsmitteln Straßenbahn, Bus und Eisenbahn auf einem Streckennetz von 606 km Länge betrieben.
Die Attraktivität der vorhandenen Verkehrsmittel, insbesondere der Straßenbahn, entspricht in keiner Weise mehr den Anforderungen an einen modernen Personennahverkehr. Das bezieht sich auf die Reisegeschwindigkeit und damit auf den Zeitaufwand […], die Zuverlässigkeit und Bequemlichkeit.» Dabei spielt das Tunnelsystem laut den Projektaufzeichnungen den wichtigsten Teil der ganzen Erschließungskonzeption.
Was interessant an den Dokumenten ist, dass am Ende der Bau der Tunnelanlagen und des neuen Netzes gar nicht das Hauptziel war, sondern nur als vorbereitende Massnahme für eine eigentlich geplante «städtebauliche Gestaltung der Hauptmagistrale Julian-Grimau-Allee - Ernst-Thälmann-Str. - Grunaer Straße - Robotronzentrum Gruna» dienen sollte.

Geplant waren die Arbeiten laut Projektbeschreibung für den groben Zeitraum von 1971 bis 1975. Auf die utopischen Vorstellungen einer Untergrundbahn für die barocke Bezirkshauptstadt antwortete man jedoch mit fünf Bauabschnitten, die jeweils fünf bis acht Jahre dauern sollten.
Diese Prognosen stützen sich auf anfängliche Untersuchungen, die in den Bereichen Bahnhof Mitte (Weißeritzstrasse) bis Fučikplatz (Botanischer Garten) durchgeführt wurden. Anfänglich sprach man nur von möglichen Weiterführungen bis zum Bahnhof Friedrichstadt bzw. Löbtau im Westen und Gruna im Osten. Diese Ziele wanderten später aber in die endgültige Fassung des Planes.
Traumhafte 6500 bis 8000 Personen versprach man sich in den Spitzenstunden transportieren zu können, wobei nach der Umsetzung des Planes erst auf Straßenbahnen und später dann auf S-Bahnen gesetzt werden solle. Ziel war dann ein vollkommen neuer «Generalverkehrsplan der Stadt Dresden»

So verlockend und weltmännisch die Idee der U-Bahn in den Ohren der Dresdner aber auch klang, scheiterte sie schlussendlich an den zu hohen Kosten, mit welchen eine Umsetzung verbunden wäre. Denn nicht nur der ehemalige Sumpfgrund der Stadt und dessen zum Teil sandiger Unterbau bereiteten Probleme, sondern auch und vor Allem der Fluss Elbe, welcher nicht nur die Strecke hätte durchkreuzt, vielmehr auch die Visionen der Stadtplaner. So stellte man nicht nur fest, dass dieses Unterfangen technologisch sehr kompliziert sei, sondern auch hohe Kosten nach sich ziehen würde.

Gesamtkosten-Entwurf in der Projektmappe des Stadtrates. Kein billiges unterfangen - damals, wie heute.

Das schon viel mit den Kosten gerechnet wurde, kann man auch in den Akten des Stadtrates nachlesen in denen, lediglich zur Orientierung, mögliche Millionenbeträge in Mark aufgelistet wurden, was Dresden dieses Prestigeprojekt hätte kosten können. Den Ausschnitt aus dem Dokument, den sie hier sehen, beläuft sich insgesamt also auf unglaubliche 469 Millionen DDR-Mark.
Neben solche hohen Kosten ließen sich auch aus anderen Aufsätzen im Archivbestand ohne statisch-technisches Wissen ableiten, dass das Unterfangen aufgrund der doch nicht gut stützenden Untergrundverhältnisse nicht wirklich ohne hohen Aufwand in Wirklichkeit umgesetzt werden könnte, auch wenn sich in der Projektmappe diverse technische Zeichnungen für Bahn-Tunnel und statische Berechnungen dazu fanden.

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So gab man das Projekt letzten Endes doch auf und investierte vornehmlich in neue Strassenbahnwaggons aus der Tschechei und neue Busse aus Ungarn, um das Netz weiter auszubauen. Und wenn man heute zurückblickt, scheint sich dieser Schritt gelohnt zu haben: Auch wenn einige Untersuchten dazu schon etwas länger zurückliegen, stellte die Zeitung «Zeit» im Februar 2017 fest, das man in Dresden für sein Geld auch einen der besten öV in Deutschland geboten bekomme. So hat es hier mit die meisten Haltestellen-Abfahrten pro Einwohner und das für vergleichsweise günstigere Preise. So lautet zumindest das Urteil diverser Rankings in den Jahren 2016 und 2017. Und das auch ohne eine «Stadtschnellbahn» oder U-Bahn, wie sie sich doch noch einige Dresdner herbeiwünschen.

Die für die Arbeit verwendeten Archivquellen finden sich im Stadtarchiv Dresden als «4.2.5-128 Unterlagen zur Grundkonzeption der Stadtschnellbahn Dresden-Tunnelstrecke Stadtzentrum, 1969.06 (Archivalieneinheit)»