GALANTERIE & VERFLOSSENHEIT

Rezension zu «Matara» von Matias Riikonen

Ein ungewöhnliches Buch aus Finnland mit aktuellem Bezug — und so vielen Lesarten, wie es Leser gibt.

Marc Eric Mitzscherling

01. Oktober 2024﹒Wien

Dieser Rezension muss ich voranstellen, dass ich befangen bin: Sowohl als großer Bruder, als auch im Knabeninternat Großgewordener. Ich gehe noch weiter und behaupte, dass jeder Leser dieses Buches ebenso befangen sein wird. Denn alle sind wir einmal jung, einmal Kind gewesen. Und genau davon handelt Matias Riikonens «Matara». In Finnland erhielt der Text bereits zahlreiche Preise; für den renommierten Finlandia-Preis wurde das Buch noch im Erscheinungsjahr 2021 nominiert.

Den Sommer verbringen die Jungen des Buches – von klein bis groß – im Wald. Der Wald ist ihre Welt: hier werden Staaten geführt, Gesetze befolgt, Tempel gebaut. Über das, was draußen, außerhalb des Waldes, in der sogenannten Einrichtung geschieht, ist es verboten zu sprechen.
Aus der Perspektive des kleinen Bruders wird ein Sommers im fiktiv-antikisierten Staat Matara geschildert. Die Form der Schilderung charakterisiert derweil den Text am ehesten: denn neben der Wiedergabe der Geschehnisse in Matara, ist der Roman wortwörtlich in Naturdarstellungen eingebettet. Man liest von Blaubeerbülten, von Hexenkraut und Moorbeeren. Irgendwo kreischt eine Silbermöwe.

In dieser Umgebung bekriegen sich Halbstarke um Plastikschnipsel, begehen Milchbärte im kindlichen Ernst Verrat und richten Jünglinge über Puppen. Zeitweise werden Assoziationen an «Lord of the Flies» geweckt. Die Grenze zwischen dem augenscheinlichen Kind- und dem sogenannten Erwachsensein verschwimmt. Genau genommen sind die Kinder und Jugendlichen die Erwachsenen. Die wirkliche Welt scheint weit weg und ist doch so nah. Denn durchaus kann diese jugendliche Protogesellschaft auch als Brennglas auf das unserige Miteinander verstanden werden.

«Matara» ist die erste Publikation Riikonens in deutscher Übersetzung. Maximilian Murmann verstand es die Naturlyrik und den Umgang der Kinder untereinander präzise und in Gänze poetisch ins Deutsche zubringen.
Wenngleich Idee und Umsetzung vereinzelt etwas ungewöhnlich, im Stil schlicht anmuten, sind sie doch erfrischen anders. Was das Buch wirklich ist lässt sich am Ende schwer fassen: Ein Abenteuerroman? Eine antike Ode? Ein seichter Politthriller? Eine Liebeserklärung an den finnischen Wald? Eine kinderpsycholgische Studie? Sicher ist: Jeder, der dieses Buch in die Hand nimmt, wird mit einer anderen Perspektive, wohlmöglich durch das innere Kind beeinflusst, lesen.

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Riikonen, Matias: Matara. Aus dem Finnischen von Maximilian Murmann. Karl Rauch Verlag 2024. 320 Seiten. 978-3-7920-0279-7, 25,00 €.