GALANTERIE & VERFLOSSENHEIT

Finnland – ein ferner Sehnsuchtsort rückt in Zukunft näher

In Finnland zu sein, ist eine schöne Sache. Doch eine Reise in den fernen Norden ist ein längeres Unterfangen. Ob per Flugzeug oder mit Bahn und Fähre. Ganz abgesehen von den derzeitigen juristischen Erschwernissen, die der aktuellen Lage geschuldet sind. Umso mehr kann eine visionäre Reise in Zukunft – genauer in das Jahr 2030 – vielversprechend sein. Denn in rund 10 Jahren soll es möglich sein, mit dem Zug von Tallinn nach Helsinki zu reisen; in gerade einmal 30 Minuten und ohne Umsteigen.

Marc Eric Mitzscherling

16. April 2021﹒Greifswald

Als Dänemarkfreund hätte man es sicherlich einfacher. Auf der A7 mit dem Auto durch Schleswig-Holstein schießen oder von Hamburg aus, direkt mit dem Zug nach Kopenhagen fahren – ganz abgesehen von etwaigen Kurzstreckenflügen.

Für uns Finnlandfreunde ist das alles ein wenig kompliziert. Je nachdem, wie man die Sache angeht. Entweder nimmt man ab der deutschen oder schwedischen Küste die Fähre oder setzt sich in den Flieger. All das dauert und ein grünes Umweltbienchen bekommt der Reiseplan mit Benzin, Kerosin oder Schweröl sicherlich auch nicht aufgedrückt.

Den Finnischen Meerbusen dominieren bisher nur die Schifffahrt und grenzenlose Schönheit. (Unsplash Miikka Airikkala)

Doch wie die einleitenden Wort schon versprochen haben: es könnte bald noch eine neue Art des Reisens geben. Sicherlich wird der Tagesausflug zum angestammten Mökki eher (noch) nicht in greifbare Nähe rücken, aber dafür gewinnen Reisedauer und Komfort umso mehr. Es geht um die 2018 vorgelegte Machbarkeitsstudie einer Tunnel-Direktverbindung von der estnischen Hauptstadt Tallinn nach Helsinki.

Ein Tunnel in den Norden

Solche Nachrichten freuen einen reisebegeisterten Finn- und Estlandliebhaber, wie mich, natürlich sehr. Denn bisher existieren nur die Schiffsverbindungen zwischen beiden Hauptstädten, die jährlich 9 Millionen Personen und 4 Millionen Tonnen an Gütern transportieren müssen. Und das in langwierigen 2 h. Was also steckt hinter diesem Projekt?

Die Initiative zur Idee, den Wirtschaftsraum Helsinki–Tallinn durch eine leistungsfähigere und schnellere Verbindung zwischen beiden Ländern zu stärken, stammt unteranderem von den beiden betreffenden Stadtregierungen Helsinkis und Tallinns, als auch von den jeweils zuständigen Transportministerien.
Erstes Ziel dieser Projektgründung war es, zu überprüfen, inwiefern sich eine infrastrukturellen Annäherung beider Städte lohnen würde.

Plan einer möglichen Route, die das Tunnelsystem durch den finnischen Granit nehmen könnte. (FinEst Link)

Das Projekt soll anknüpfen an das Schienennetz der noch im Ausbau befindlichen, aber 2026 voll funktionsfähigen Rail Baltica, deren Ziel es sein soll, alle baltischen Staaten durchgehend auf der Schiene zu verbinden. An dieses Netz soll dann ein 103 km Tunnel langer angeschlossen werden, der vom Flughafen in Tallinn (Tallinn-Ülemiste) bis zum gegenüberliegenden Pendent in Helsinki-Vantaa führen soll. Mit dieser Verbindung würde eine Reise zwischen beiden Ostseestädten, statt der 2h Schifffahrt, nur noch 30 min dauern. Der Tunnelidee zuträglich sind vor allen Dingen die geologischen Gegebenheiten auf finnischer Seite: der finnische Granit ist ein ideales Material, um stabile Tunnel zu graben. Nicht ohne Grund spricht man oft auch vom zweiten Helsinki unter der Erde (eine spannende Sache, auf die ich hier gern als Recherche–Tipp verweisen möchte ist die Itäkeskus–Schwimmhalle in Helsinki. In den Fels gearbeitet ist sie nicht nur eine Attraktion für die Gäste, sondern innert weniger Stunden auch Teil des Zivilschutzbunkersystems der Stadt).

Insgesamt wird es drei Tunnelröhren geben, von denen zwei dem Zugverkehr und eine für Instandhaltungsarbeiten dienen sollen. Angebunden an dieses System sind zudem sichere Abschnitte für eine mögliche Evakuierung und zwei künstlichen Inseln, welche der Konstruktion und dem Betrieben den Tunnels dienen sollen und gleichzeitig den Aushub der Tunnelarbeiten verwerten.

Wenn das Projekt seinem bisherigen Verlauf folgt, sollen die Bauarbeiten schon in vier Jahren beginnen. Nach 12 bis 14 Jahren Bauzeit folgt dann eine einjährige Testphase, ehe der Tunnel in den Betrieb starten kann. Ab diesem Zeitpunk wird es dann noch einmal – und nun zur rechnerischen Seite – etwa 40 Jahre dauern, bis der Tunnel aus Zuwendungen Finnlands und Estlands sowie den Tunneleinnahmen finanziert ist.
Die FinEstLink-Studie macht auch darauf aufmerksam, dass das Projekt kein Leckerbissen für Finanzhaie sein wird. Denn der Tunnel rechnet sich mit seinen prognostizierten 16 bis 20 Milliarden Euro an Baukosten nicht – oder anders gesagt: für einen Investor wird er als Einzelobjekt nicht profitabel werden. Es muss jedoch noch vergleichend hervorgehoben werden, dass der Tunnel, der die britischen Inseln an europäische Festland bindet, auch ganze 13,2 Mrd. Euro verschlungen hat.
Vielmehr wird unterstrichen, welche immensen Vorteile das Projekt für die regionale Wirtschaft und Gesellschaft der beiden Städte bringen würde. Ein Job in Tallinn ist dann für den in Helsinki lebenden Finnen nicht weiter entfernt als eine etwas längere Metrofahrt.

Die Zukunft der Zukunft

Doch die beiden Staats- und Stadtregierungen sind nicht die Einzigen, die das Potential dieser Verbindung sehen und sahen. Schon 1994 wurde eine erste Studie zu solch einem Projekt vorgelegt – damals aber, so erzählt es eine Anekdote, noch als April–Scherz abgetan.

Des Weiteren wittern auch private Investoren Chancen im Finnischen Meerbusen. Der finnische Erfinder des Spiels Angrybirds Peter Vesterbacka, hat zusammen mit einem chinesischen Investorenteam ein ähnlich klingendes Projekt ins Leben gerufen: Finest Bay Area. Schaut man sich den Imagefilm des Projekts an, fliegt man jedoch durch eine dystopisch anmutende architektonische Studie, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eher einen saudischen Scheich ködern könnte, als eine pragmatische Gruppe von finnischen Politikern. Die finnische und estnische Presse wittert mit chinesischer Beteiligung jedenfalls die Chance auf gute Schlagzeilen. China könnte den Tunnel als diplomatisches Druckmittel missbrauchen oder den Einfluss auf die Region durch einen möglichen Anschluss an die neue Seidenstraße vergrößern.
Im Juli 2020 bewarb sich das Team um Vesterbacka auf das Tunnelprojekt. Doch nachdem auch der estnische Minister für öffentliche Verwaltung Jaak Aab dieser Idee als zu optimistisch eine Absage erteilte, liegt das Projekt nun erst einmal auf Eis. Nach der derzeitigen öffentlichen Meinung, kann dieser Zustand auch noch andauern, denn hier sieht man vielmehr, dass solch ein großes Projekt zwischen Estland und Finnland nur als gemeinsames Projekt Bestand haben kann. Doch auch dadruch geben die Macher von Finest Bay Area ihren Optimismus nicht auf. Denn wer ebenfalls an eine durch sie geplante und gebaute Tunnelverbidnung glaubt, kann schon jetzt in ihrem Online-Shop zuschlagen und erste Tickets, die mit der Betriebsaufnahme des Tunnels gültig sind, kaufen.

Die Hyperloop-One-Route zwischen Tallinn und Helsini wird gern als europäische Mobilitätsvision vermarktet. (Hyperloop One)

Weiteren Ideenzuwachs erhielt die Verbindung zwischen Tallinn und Helsinki auch durch den, nicht weniger als die Angrybrids bekannten, Unternehmer Elon Musk. Sein Projekt Hyperloop One soll, wenn es nach ihm geht, in nicht allzu ferner Zukunft mit einem speziellen System von Vakuum-Röhren, erschwingliche Reisen mit Geschwindigkeiten um die 1000 km/h ermöglichen. Neben einer Strecke von Stockholm nach Helsinki, die so nur noch waghalsige 28 min dauern würde, wurde auch ein Auge auf die FinEstLink-Initiative geworfen.
Vertreter von Hyperloop One, die bereits fleißig Werbung für Projekt gemacht haben, betonten dann bei Ihren Veranstaltungen in Helsinki und Tallinn gerne, dass eine Reise zwischen beiden Städten mit dem Hyperloop lediglich sechs Minuten dauern würde. Nach Skepsis, was diese Idee anbelangt muss jedoch nicht lange suchen. Besonders des Gütertransportes wegen, ist man nicht so ganz von der Sache überzeugt.

Finnland ruft – auch in Zukunft

Ob und wie der Tunnel unter dem finnischen Meerbusen gebaut werden wird, steht noch in den Sternen. (M)ein Traum wäre es und auch von Seiten der beiden betreffenden Staaten kommen oft noch vielversprechende Worte. Und wer weiß – vielleicht wird eines Tages dieser Traum wahr und man sitzt im Zug unter dem Meer und zieht durch den grauen finnischen Granit gen Norden. Für viele finnische Pendler würde dann nicht nur ein Traum, sondern auch ein gefühlter Ist–Zustand wahr: das oft witzelnd als «Helsinki–Süd» bezeichnete Tallinn wäre so wirklich nur noch «eine Metrostation» entfernt.